Dr. Karl Lueger Denkmal


Erinnerungskultur in Schieflage

Gabriele Anna Brunner

Das Lueger-Denkmal und der verborgene Antisemitismus in Wien

Wenn hegemoniale Geschichtserzählungen an Überzeugungskraft verlieren, geht dies meist mit Konflikten einher. Diese Konflikte bringen aufeinanderprallende Erzählungen, die miteinander konkurrieren, an die Oberfläche. Dies ist beim Denkmal für den langjährigen Wiener Bürgermeister Dr. Karl Lueger der Fall. Sein Denkmal steht seit Jahren im Mittelpunkt einer Debatte über Antisemitismus und Rassismus.

Dr. Karl Lueger – eine umstrittene Persönlichkeit

Karl Lueger wurde 1844 in Wien geboren. Er absolvierte ein Jurastudium und betätigte sich einige Jahre als Rechtsanwalt. 1875 begann seine Karriere in der Wiener Kommunalpolitik. Er gründete 1893 seine eigene Partei, die christlich-soziale Partei (die Vorgängerin der heutigen ÖVP), und zielte auf das Kleinbürgertum als Wählerschaft. Auch schon vor seiner Amtszeit als Bürgermeister (1897–1910) vertrat Lueger eine besondere Art der Politik: Er wollte für das ‚Volk‘ greifbar sein und nicht wie andere Politiker seiner Zeit lediglich aus der Ferne wahrgenommen werden (vgl. Arbeitskreis zur Umgestaltung 2009). Diese ‚Greifbarkeit‘ schuf Lueger durch eine damals innovative Form der Selbstvermarktung. Der Historiker Harald Gröller beschreibt einige dieser ‚Merchandising‘-Strategien:

„Sei es die Illusion der Verfügbarkeit, die er seinen weiblichen Anhängern durch seine Ehelosigkeit bzw. die Geheimhaltung seiner Beziehungen gab, sei es der für ihn von Eduard Nerradt komponierte ‚Lueger-Marsch‘, der bei verschiedensten Veranstaltungen abgespielt wurde, seien es – um nur ein Beispiel der äußerst umfangreichen diesbezüglichen ‚Devotionalienlandschaft‘ zu nennen – die Lueger-Teller, die bei Wahlkampfveranstaltungen als ‚Trägersubstanz‘ für Würstel und Senf ausgeteilt wurden und die dem Esser nach Verzehr der Speise in Form des Porträts Luegers am Teller visualisierten, wem sie das soeben Konsumierte verdankten“ (Gröller 2011: 16).

Schon zu Lebzeiten wurde auf diese Weise ein Kult um den Bürgermeister geschaffen, der noch lange nach seinem Ableben aufrechterhalten wurde (vgl. ebd.).
Aufgrund dieser Nähe zu seiner von sozialen Abstiegsängsten geprägten Wählerschaft und einer allgemeinen, aus dem gesellschaftlichen Wandel (Industrialisierung) resultierenden Verunsicherung wurden seine antisemitischen, pseudo-antikapitalistischen und antiliberalen Parolen von einem Teil der Bevölkerung positiv aufgenommen. Luegers ausgeprägter Antisemitismus verstellte ihm zunächst den Platz als Bürgermeister, da Kaiser Franz Joseph ihn nicht akzeptieren wollte. Der Kaiser sah den Ausgleich zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen in der Stadt Wien durch Luegers Politik gefährdet. Lueger wurde dennoch 1897 zum Bürgermeister der Stadt Wien gewählt und blieb bis zu seinem Tod 1910 in diesem Amt (vgl. Arbeitskreis Umgestaltung 2009).
Karl Lueger wurde häufig für seine Verdienste in der Kommunalpolitik Wiens gewürdigt und in seinem politischen Umfeld verehrt. Erst seit kurzer Zeit steht seine Person in der Kritik, weil er den Antisemitismus in Wien salonfähig gemacht habe. Der verklärende Kult um den Bürgermeister verhinderte lange Zeit jeden differenzierenden Blick auf seine problematische Rolle beim Aufkommen des Antisemitismus in Wien (vgl. Gröller 2011: 17). Lueger wird häufig zugutegehalten, dass er eine Modernisierungswelle der Wiener Infrastruktur in Gang gesetzt habe. Zu erwähnen sind hier vor allem der Bau der II. Wiener Hochquellwasserleitung, der Bau der Straßenbahnen sowie die Kommunalisierung der Gas- und Elektrizitätsversorgung (vgl. Arbeitskreis Umgestaltung 2009), welche auch auf seinem Denkmal künstlerisch dargestellt werden.

Denkmal im Zentrum von Wien

Das Lueger-Denkmal steht in Wien am gleichnamigen Dr.-Karl-Lueger-Platz im ersten Wiener Gemeindebezirk. Der stark frequentierte Platz am Stubenring liegt zentral in der Wiener Innenstadt und ist von einer kleinen Parkanlage mit Parkbänken umgeben, die zum Verweilen einladen.

Josef Müllner – Schöpfer umstrittener Denkmäler

Der Erbauer des Denkmals war Josef Müllner. Sein Entwurf trug den Titel „Früchte bringe das Leben dem Manne“ (vgl. Wiener Bauindustrie Zeitung 1913: 91). Josef Müllner (1879–1968) wurde in Baden bei Wien geboren und war ein in seiner Zeit angesehener Bildhauer in der österreichischen Hauptstadt. Er war von 1910 bis 1948 Professor an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Seine Werke können dem neoklassischen Stil zugeordnet werden (vgl. Arbeitskreis Umgestaltung 2009).
Zu seinen Werken zählt der sogenannte „Siegfriedskopf“, ein umstrittenes Heldendenkmal für gefallene Studenten des Ersten Weltkrieges, welches 1923 in der Universität Wien errichtet wurde (vgl. Universität Wien 650 plus). Der Künstler ist umstritten, weil er den Nationalsozialismus unterstützte und bis zum Kriegsende Ehrenbursche in der Burschenschaft „Athenaia“ war (vgl. Arbeitskreis Umgestaltung 2009).
Das Lueger-Denkmal wurde von Müllner bereits 1913 entworfen, aufgrund der darauffolgenden Kriegsjahre jedoch erst am 19. September 1926 an seinem jetzigen Standort aufgestellt und feierlich enthüllt.

Ästhetik und Symbolik

Am Tag der Enthüllung war das Lueger-Denkmal das wichtigste Thema in den Wiener Tageszeitungen. In der katholischen Tageszeitung Reichspost wird die Verbundenheit von Lueger mit den ‚einfachen‘ Menschen betont und es werden seine Verdienste in der Wiener Kommunalpolitik glorifiziert. Der folgende Artikel soll den Tenor, in dem über Lueger, noch Jahre nach seinem Tod, berichtet wurde, wiedergeben:

„An der vier Meter hohen Hauptfigur ist es Müllner auch gelungen, die herzliche und dabei doch leidenschaftliche Art des großen Volksmannes ohne pathetische Pose darzustellen, indem er ihn beide Hände aufs Herz pressen läßt, das so warm für sein Wien und dessen Bewohner geschlagen hat. Den Sockel, auf dem die Gestalt steht, zieren Reliefs, welche die Vorstellungskreise sinngemäß ausführen, die durch die vier mächtigen Modelfiguren versinnbildlicht werden. Der Arbeiter mit dem Gasrohr, eine klobige Gestalt, der jugendliche Landmann als Symbol des Wald- und Wiesengürtels stellen die schöpferische Tätigkeit Luegers dar, während die liebliche Gruppe der Frau mit den beiden Kindern, sowie der Greis seine Fürsorge um die städtische Witwen- und Waisenversicherung und um die Kranken- und Altersfürsorge festhalten.
Auf seinem nunmehrigen Standplatze wird dieses Monument zweifellos zu den schönsten Denkmälern unserer Stadt zählen, die Müllner ja auch andere schöne Bildwerke zu verdanken hat“ (Reichspost Nr. 259, 1926: 14).

Die in dem Zeitungsbericht erwähnten Reliefs sollen das Wirken des langjährigen Wiener Bürgermeisters unterstreichen. Sie bilden das Fundament, auf welchem die überlebensgroße Bronzestatue steht (vgl. Wien Geschichte Wiki 2020). Der Kunsthistorikerin Verena Krieger folgend, ist das Lueger-Denkmal eine Mischung aus traditionell-konservativen wie neuen künstlerischen Aspekten. Als neu bezeichnet sie die großformatige Darstellung einer bürgerlichen Person, denn in Zeiten der Monarchie wurden nur Fürsten und Feldherren in großem Format dargestellt. Mit dieser Konvention wurde hier gebrochen. Zudem wurde Lueger in einem bürgerlichen Anzug dargestellt. Krieger resümiert: „Bei der sachlichen, auf barocken Dekor verzichtenden Darstellungsweise tritt eine konservativ-gemäßigte Moderne zutage“ (Krieger 2011: 69). Das Denkmal sei eine typisch monarchische Darstellung, was den traditionell-konservativen Aspekt ausmache. Die Bronzestatue steht auf mehrstufigen Sockeln, welche auf plastische Weise die untergeordnete räumliche Anordnung seiner ‚Untergebenen‘ und seine Verdienste als Kommunalpolitiker darstellen sollen. Einen Vergleich unternimmt Krieger anhand des Maria-Theresia-Denkmals an der Ringstraße, bei welchem die Monarchin auch auf einem mehrstufigen Sockel thront. Allerdings repräsentieren die Reliefs auf diesem Denkmal Vertreter aus Militär, Politik und Verwaltung. Gleichwohl ist Maria Theresia sitzend dargestellt, was nur Fürsten und Kaisern vorbehalten war. Das Lueger-Denkmal bricht mit der traditionell eher minimierenden Darstellung von Bürgerlichen, weil es eine überlebensgroße und stehende Bronzestatue an einem zentralen Ort der Stadt Wien ist (vgl. ebd.).

Abbildung 1: Panholzer, Lilly/Jakob Glasner (2009), Lueger Denkmal (frontal). © Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich.
Abbildung 2: Panholzer, Lilly/Jakob Glasner (2009), Lueger Denkmal (von links u. rechts). © Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich.
Abbildung 3: Frankenberger, Lukas (2009), Frontrelief (Schaffung des Wald- und Wiesengürtels). © Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich.
Abbildung 4: Frankenberger, Lukas (2009), Relief links (Kommunalisierung der Gaswerke). © Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich.
Abbildung 5: Frankenberger, Lukas (2009), Relief rechts (Bau der zweiten Hochquellwasserleitung). © Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich.
Abbildung 6: Frankenberger, Lukas (2009), Relief hinten. © Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich.
Abbildung 7: Frankenberger, Lukas (2009), Sockelfiguren hinten (links: trauernde Witwe, rechts: befürsorgter Greis). © Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich.
Abbildung 8: Frankenberger, Lukas (2009), Sockelfiguren vorn (links: Mann mit Gasrohr, rechts: Landarbeiter). © Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich.

Die Zusatztafel von 2016

Wie noch auszuführen ist, wurde 2016 – nach langen Debatten rund um das Denkmal– vonseiten der Stadt Wien eine Zusatztafel für das Denkmal aufgestellt. Vom damaligen Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) und von dem zuständigen Bezirksvorsteher der Inneren Stadt, Markus Figl (ÖVP), wurde es gemeinsam enthüllt (vgl. Redaktion Wien.ORF.at 2016). Die Tafel selbst steht ein wenig abseits des Denkmals und kann dadurch schnell übersehen bzw. nicht auf einen Blick mit dem Denkmal in Verbindung gebracht werden. Der Text, der auf den Antisemitismus Luegers hinweisen soll, wurde vom Historiker Oliver Rathkolb in Zusammenarbeit mit der Kulturkommission Wien 1 erarbeitet. Die Zusatztafel ist deutsch- und englischsprachig:

„LUEGER – Denkmal
Das Denkmal Karl Luegers, Bürgermeister von Wien in den Jahren 1897 – 1910, wurde vom Bildhauer Josef Müllner gestaltet. Finanziert durch eine Initiative im Umfeld der Christlichsozialen Partei, errichtet im Jahre 1926. Der sozialdemokratische Bürgermeister Karl Seitz übernahm das Denkmal in die Obhut der Gemeinde Wien und nannte Karl Lueger einen ‚streitbaren Politiker‘.
Karl Lueger (1844-1910) war Rechtsanwalt. Ursprünglich Anhänger des Liberalismus, gründete er 1893 die Christlich-soziale Partei. Seine politische Rhetorik wurde zunehmend von populistischem Antisemitismus und der Vormachtstellung des deutschen Nationalismus beeinflusst. Als Bürgermeister vertiefte er den modernen Ausbau der kommunalen Infrastruktur Wien, modernisierte die Verwaltung und förderte die Entwicklung der Stadt zu einer Metropole während der intensiven Zuwanderung von Menschen aus allen Teilen der Habsburger Monarchie. Zu seinen Verdiensten zählten die Kommunalisierung des öffentlichen Verkehrs, der Wasser-, Gas- und Stromversorgung Wiens, die Witwen- und Waisenpension sowie die Pflege- und Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Zu danken ist ihm auch die Bewahrung des Wald- und Wiesengürtels rund um Wien. Die Steinstatuen, die das Denkmal flankieren, sind symbolischer Ausdruck dieser Leistungen. Lueger verstärkte während des Nationalitätenkonflikts in der späten Habsburger Monarchie den antisemitischen und nationalistischen Trend seiner Zeit. Schon zu Lebzeiten ein ‚Mythos‘, bleibt daher Karl Lueger in der Gegenwart eine umstrittene Persönlichkeit.“

Hervorzuheben ist, dass die von der Stadt Wien in Auftrag gegebene Zusatztafel den zuvor negierten Antisemitismus Luegers thematisieren soll. Sie leistet dies aber in eingeschränkter Form. In nur wenigen Sätzen wird die problematische Seite des Politikers erwähnt, jedoch nicht weiter ausgeführt. Wesentlich umfangreicher fällt die Würdigung seiner Verdienste als Modernisierer der Stadt aus. Fraglich ist zudem, ob es reicht, die Zusatztafel in einer multiethnischen Stadt, wie Wien es ist, in nur zwei Sprachen zu verfassen.

Eigentumsverhältnisse und Denkmalschutz

Laut Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur steht das Lueger-Denkmal unter Denkmalschutz und ist im Eigentum der Stadt Wien (vgl. Republik Österreich Parlament 2019). Von ihr wird es auch gepflegt und in Stand gehalten (vgl. Wien Geschichte Wiki 2020).

Auftraggeber: die Christlichsoziale Partei Luegers

Bereits eine Woche nach dem Tod des Bürgermeisters im März 1910 wurden Spenden für ein Denkmal bei der katholischen Tageszeitung Reichspost abgegeben (vgl. Reichspost Nr. 77, 1910: 7). Erst später richteten Parteifreunde der Christlichsozialen Partei einen Denkmalfonds ein, um das geplante Monument finanzieren zu können. Ein Aufruf in der Reichspost vom 20. März 1910 begründet das Anliegen – die Schaffung eines Denkmals für den Verstorbenen – und richtet sich an die „Parteigenossen“:

„Aufruf an die christlichsozialen Parteigenossen!
Ein lebendes Denkmal für Dr. Lueger Der Tod unseres geliebten Führers hat die Herzen aller Parteigenossen aufs tiefste ergriffen. Dr. Lueger wird uns immerdar unvergeßlich bleiben. Doch wir wollen ihn nicht allein selbst, solange wir atmen, in ehrender Erinnerung behalten, sondern wir wollen, daß auch in ferner Zukunft sein Name und das Andenken an ihn bei unseren Nachkommen unvergänglich gennt (sic) werde. Die Schaffung eines Denkmales durch einen hervorragenden Künstler aus dem Kreise der Bildhauer ist bereits in Anregung“ (Reichspost Nr. 79, 20.03.1910: 11).

Im weiteren Verlauf wurde eine ‚Luegerstiftung‘ der Reichspost ins Leben gerufen, um die ‚starke Luegerpresse‘ aufrechtzuerhalten. Viele Leser*innen der Tageszeitung beteiligten sich an den Spenden für diesen Fonds (vgl. Reichspost Nr. 83, 1910: 7). Sogar in der Gemeinderatssitzung vom 22. März 1910 wurde von den zahlreichen Geldspenden für die Lueger-Stiftung oder das Lueger-Denkmal berichtet. Interessanterweise ist hier zudem die Rede von einem ganzen Stadtteil Wiens, welcher nach Lueger benannt werden sollte (vgl. Reichspost Nr. 83, 1910: 8).
Bezüglich der Kosten für die Errichtung des Denkmals finden sich nur unvollständige Informationen. Über die Finanzierung des Fundaments sowie über die Übernahme in das Stadteigentum heißt es im Wiener Amtsblatt vom 6. Jänner 1926:

„Dem Luegerdenkmalkomitee wird der im Plane des Stadtbauamtes vom Juli 1925 bezeichnete Platz in der Gartenanlage im Zuge der Wollzeile nächst der Ringstraße zur Aufstellung des Luegerdenkmales unentgeltlich überlassen. Das Denkmal wird nach Aufstellung in die Obhut der Gemeinde Wien übernommen. In Ausführung des Stadtratsbeschlusses vom 13. März 1914, § 3679, übernimmt die Gemeinde Wien die Herstellung des Denkmalfundamentes im Betrage von 25.000 S und wird vorbehaltlich des anstandslosen Ergebnisses der Bauverhandlung die Baubewilligung erteilen“ (Wiener Amtsblatt Nr. 2 1926: 1).

Die Konflikte rund um das Denkmal

Das Lueger-Denkmal ist von Beginn an mit Konflikten verbunden gewesen, da bereits bei der Standortfrage die erste Debatte losging.

Die Standortfrage
Kaiser Franz Joseph I. gewährte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Umwidmung des Paradeplatzes in einen Baugrund, auf welchem das neue Rathaus gebaut werden sollte. Diese Umwidmung und die zuvor von ihm genehmigten Umbauten der Ringstraße machten ihn zu einem der wichtigsten Erneuerer der Stadt Wien. Als Dank und Anerkennung wurde ihm der Platz vor dem neuen Rathaus an der Ringstraße als Ort für ein Monument, das dem Kaiser selbst gewidmet sein sollte, überlassen bzw. versprochen. Mit dem Antrag auf ein Lueger-Denkmal, welcher 1910 vom Denkmal-Komitee eingereicht wurde, sollte diese Selbstwidmung unterlaufen werden. Das Denkmal-Komitee wollte das Kaisermonument an den Platz vor der Votivkirche verlegen, während das Denkmal für Karl Lueger vor dem Rathaus an der Ringstraße errichtet werden sollte. Im Zuge der Debatte wurde prompt der Antrag auf ein Kaisermonument an der Ringstraße im Gemeinderat eingebracht (vgl. von Dorn 1912: 181ff.).
In Zeiten der Monarchie waren die zentralen Plätze an der Ringstraße der Repräsentation von Fürsten, Feldherren und Kaisern vorbehalten. Denkmäler von Bürgerlichen wurden auf weniger prestigeträchtigen Orten aufgestellt. Deshalb war es nicht möglich, das Lueger-Denkmal am Rathausplatz an der Ringstraße zu erbauen, da hier das Monument für den Kaiser seinen Platz finden sollte. Nach dem Zerfall der Monarchie und den Kriegsjahren wurde das Lueger-Denkmal an seinem jetzigen – durchaus zentralen – Standort am Stubenring errichtet (vgl. Krieger 2009: 68f.).
Am Tag der Enthüllung des Denkmals wurde der Platz am Stubenring in höchsten Tönen gelobt. Nach vorn hin, schrieb die Reichpost, „[…] ist er frei. Da sind der Ring, die Pulsader Wiens, der Stadtpark mit seinen alten Bäumen und das Österreichische Museum, da sieht man ungehindert bis zur Lastenstraße hinauf“(Reichspost Nr. 260, 20.9.1926: 2). Hinter dem Denkmal könne man durch die Wollzeile einen „flüchtigen Blick in das Herz der Stadt“ (ebd.) werfen. Im Gegensatz zur vorangegangenen Debatte über den Standort ist dieser offensichtlich im Nachhinein gut angenommen worden. Im weiteren Verlauf verebbte die Diskussion, womit das Lueger-Denkmal seit seiner Enthüllung im Zentrum des Dr.-Karl-Lueger-Platzes am Stubenring steht.

Kritik an der Ausschreibung und dem Denkmal

Die Ausschreibung des Denkmal-Komitees sowie Informationen über das Komitee selbst liegen nur unvollständig vor. Ein Hinweis findet sich in der Wiener Bauindustrie Zeitung von 1913, in der über das Ergebnis der Ausschreibung berichtet wurde. Die letzte Sitzung des Komitees sei am 27. November 1913 abgehalten worden, wobei hier die vier Gewinner mit einem Hauptpreis von je 4.000 Kronen bestimmt wurden:

  1. Ernst Regenbarth („Weisse Nelke“)
  2. Josef Müllner („Früchte bringe das Leben dem Manne“)
  3. Hans Schwathe („Treue für Treue“)
  4. Rudolf v. Weyr („Rathausstüberl”)

Der Entwurf des Gewinners Josef Müllner wurde schließlich realisiert (vgl. Wiener Bauindustrie Zeitung, 1913: 91).
In der gleichen Ausgabe der Zeitung wurde eine grundlegende Kritik am Vorhaben, am Verfahren der Ausschreibung und an den Initiatoren geübt. Der/Die anonyme Verfasser*in resümiert, dass das Denkmal kein Personendenkmal sei, sondern ein „Demonstrationsdenkmal“, welches die Macht der Christlichsozialen Partei verkörpern solle. Zudem sei die überzogene Bildrhetorik der Bedeutung der Person Luegers nicht angemessen:

„Hätte man Mass zu halten verstanden und sich damit begnügt, dem tüchtigen Verwalter Wiens, dem populären Manne, der es so trefflich verstand, mit Hoch und Niedrig wie ‚mit seinesgleichen‘ in der Sprache der ‚entern Gründ‘ zu verkehren, ein ihm angemessenes Erinnerungszeichen zu stiften – kein Zweifel, dass eine solche Absicht auch künstlerisch befriedigend ausgefallen wäre, ja, dass sie auf ungezählte Jahre hinaus zum Herzen jener Zehntausend und ihrer Nachfolger gesprochen hätte, die nun einmal in Menschen, wie der „fesche Karl“ einer war, ihr Idol erblicken. Aber, da man statt dessen den grossen Trommelwirbel der Geschichte zu rühren für nötig hielt, da man von Heroen- und Heldenkult zu träumen begann, ja selbst die Pose der Unsterblichkeit einzunehmen sich anschickte, – da musste denn die grosse Lüge mit einem Male nackt zu tage treten. Nein, so konnte es nicht gut enden. Lueger war kein Unsterblicher, nicht einmal ein wirklich Grosser, nicht einmal Einer, der die Zeit merklich überragte, nicht einmal Einer, der die eigentliche Intelligenz seines Ortes mit ihren Herzen, ob dieses nun philo- oder antisemitisch schlug, auf seiner Seite hatte“ (ebd.: 96f.).

Ungeachtet der einseitig positiven Darstellung Luegers und seines politischen Wirkens durch seine Parteigänger und die ‚Luegerpresse‘ zeigt dieser Artikel, dass das Denkmal nicht unumstritten war und dass es gegen den Personenkult um Lueger auch Gegenstimmen gab.

Enthüllung des Denkmals im September 1926

Am 19. September 1926 wurde das Lueger-Denkmal an seinem heutigen Platz feierlich eingeweiht. Die Enthüllung des Monuments war in den vorhergehenden und nachfolgenden Tagen das zentrale Thema in den Wiener Tageszeitungen. Die Erinnerung an den Altbürgermeister diente vor allem der starken Kritik an den damals regierenden Sozialdemokrat*innen. Das sozialdemokratische ‚rote Wien‘ und dessen Politik wurde von den Oppositionsparteien wie der Christlichsozialen Partei stark kritisiert. So hieß es in der Reichspost, dass die politische Situation der Stadt Wien nicht so ‚schlecht‘ wäre, wenn Lueger noch am Leben wäre – denn er hätte gewusst, wie Wien wieder zu Wohlstand und Ruhm kommen könnte (vgl. Reichspost Nr. 260, 1926: 1) – ohne weitere Erläuterung der Redakteure, was unter ‚schlechter‘ politischer Lage verstanden werden soll. Auch das antisemitische „Wiener humoristische Volksblatt – Kikeriki“ hob Luegers positives Wirken in der Stadt Wien hervor, welches durch die neuen Politiker, vor allem durch den gegenwärtigen Bürgermeister Karl Seitz (SPÖ), zunichte gemacht worden sei (vgl. Kikeriki 66, 1926: 1ff.).
Der überwiegend positive Ton in der Berichterstattung über die Feierlichkeiten wurde in der liberalen Neuen Freien Presse des gleichen Tages (19.9.1926) nicht nachvollzogen. Die Zeitung behauptete, dass Lueger nur deshalb ein Denkmal gesetzt worden sei, weil dessen Parteifreunde durch ihn an ihre Positionen gekommen wären. Im weiteren Verlauf des Artikels wird Luegers Politik und vor allem seine Nähe zum Kleinbürgertum beschrieben. Diese Nähe habe ihm den Weg ins Bürgermeisteramt geebnet. Interessanterweise wird hier vom Konkurrenzkampf zwischen Kaiser Franz Joseph I. und Lueger berichtet: Der Kaiser habe Lueger drei Mal den Bürgermeistertitel verwehrt und ihn erst nach der vierten Wahl als solchen anerkannt (vgl. Galten 1926: 1f.).
Der Personenkult um Lueger nahm in den 1920er-Jahren ein wenig ab, kehrte aber in den 1930ern wieder zurück. Lueger fand Eingang in die Populärkultur: in Liedern, Romanen und Theaterstücken. Während des NS-Regimes diente er als „regionales Identifikationsangebot“ (Gröller 2011: 17). Sein Leben und Wirken wurde während dieser Jahre und in den darauffolgenden romantisch verklärt. Bis zur Jahrtausendwende gab es keinen differenzierend-kritischen Blick auf Luegers Biografie und ebenso wenig öffentliche Debatten (vgl. Gröller 2011: 16f.). Erst mit der Gründung des Arbeitskreises zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich sollte sich dies ändern.

Zivilgesellschaftliche Anläufe für eine Umgestaltung

Im März 2009 wurde rund um den Künstler Martin Krenn und Teilnehmer*innen seiner Lehrveranstaltung „Wider das Vergessen“ an der Universität für Angewandte Kunst Wien der „Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich“ gegründet. Unterstützer*innen des Arbeitskreises sind unter anderem der Rektor der Universität für Angewandte Kunst in Wien, Gerald Bast, sowie die Künstlerin Lisl Ponger, der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici, die Historikerin Heidemarie Uhl und die Kunsthistorikerin Verena Krieger (vgl. Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals 2011: 6).
Der Arbeitskreis schlug eine Umgestaltung des Lueger-Denkmals vor. Im Dezember 2009 wurde dazu ein Open Call zur Einreichung von Veränderungsvorschlägen veröffentlicht. Im März 2010 lagen 220 Einreichungen vor. Der Künstler Klemens Wihlidal gewann die Ausschreibung mit seinem Vorschlag der „Schieflage“, bei der das Denkmal und sein Sockel um 3,5 Grad nach rechts geneigt werden sollten. Diese „Schieflage“ soll die problematische Geschichte Luegers und den Umgang der Stadt Wien mit dem Antisemitismus symbolisieren. Der Open Call und die zahlreichen Pressegespräche, Interviews sowie Zeitungsartikel sollten Druck auf die Verantwortlichen der Stadt Wien ausüben, damit diese endlich handeln würden – was aber nicht erfolgte. Nach anfänglich positiver Resonanz in der Kulturabteilung der Stadt Wien wurde der Vorschlag am Ende nicht angenommen. Im Gegensatz zu den Wiener Regionalmedien reagierte die Stadt Wien nicht mehr auf die Forderungen und beließ das Denkmal in seinem bisherigen Zustand (vgl. Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals 2011: 4ff.).
Zunächst reagierten sowohl die Regionalmedien als auch die Politik auf den vom Arbeitskreis ausgeschriebenen Open Call. So erwähnte zum Beispiel die Redaktion des ORF Wien, dass die Debatte um das Lueger-Denkmal nicht neu sei, da man schon über den nach ihm benannten Teil der Ringstraße bzw. den Dr.-Karl-Lueger-Platz diskutiert habe. Es gehe nicht um eine Demontage oder Zerstörung des Denkmals, so der Autor, sondern um die Sichtbarmachung bzw. Aufarbeitung des bis dato negierten Antisemitismus des Politikers. Der Artikel referierte auch die verschiedenen politischen Positionen der Stadtregierung: Die Grünen seien prinzipiell für eine Umgestaltung. Diametral entgegengesetzt verortete sich die Wiener FPÖ, welche das Denkmal nicht angerührt sehen möchte, um die Geschichte der Stadt und ihres Bürgermeisters nicht zu ‚verändern‘. Die ÖVP sei hinsichtlich der Umgestaltung des Denkmals eher kritisch und würde Zusatzinformationen zum Denkmal befürworten, bevor das Denkmal verändert würde (vgl. Redaktion Wien.ORF 2009). Zur gleichen Zeit meldete sich die Landtagsabgeordnete und Landesparteiobmann-Stellvertreterin der FPÖ, Veronika Matiasek, zu Wort. Sie forderte vom damaligen Wiener Bürgermeister Michael Häupl, eine Umgestaltung des Denkmals zu unterbinden. Sie konstatierte, Lueger habe „als Bürgermeister dieser Stadt unglaublich viel geleistet. Dies sei auch von politisch Andersdenkenden so zu akzeptieren. Wiens Denkmäler dürfen deshalb nicht zur Spielwiese linker Aktivisten verkommen und nach Lust und Laune verschandelt werden“(Pressestelle Klub der Freiheitlichen 2009).

Zusatztafel am Denkmal und Umbenennung des Lueger-Rings

Wie bereits erwähnt, wurde 2016 eine Zusatztafel angebracht, um auf Luegers antisemitische Haltung hinzuweisen (vgl. Redaktion Wien.ORF.at 2016). Diese Tafel sollte Lueger kritisch infrage stellen und die zuvor nicht thematisierten Seiten ‚aufs Parkett‘ bringen. Sie tut dies lediglich in marginaler Form. Der Text der Zusatztafel betont die von Lueger intendierten Modernisierungen der Stadt und erwähnt seinen Antisemitismus in drei Sätzen.
Vier Jahre vor der Aufstellung der Zusatztafel wurde der Dr.-Karl-Lueger-Ring, unter Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ), in Universitätsring umbenannt. Am 25. Mai 2012 berichtete der ORF Wien über die Umbenennung und die Gegenstimmen aus den Oppositionsparteien ÖVP und FPÖ. Gerald Ebinger, FPÖ-Gemeinderat, nannte die Umbenennung des Ringabschnittes „Kulturbarbarei ersten Ranges“. Manfred Juraczka, ÖVP-Obmann, sah darin „totalitäre Züge der rot-grünen Vorgangsweise (vgl. Wien ORF.at 2012).

Die „Schandwache“ am Lueger-Denkmal

Im Sommer 2020 wurde das Lueger-Denkmal mit dem Wort Schande in mehrfacher Ausführung kommentiert. Die Statue wurde daraufhin von der Stadt Wien mittels Bauzäunen, die das Denkmal umstellten, abgeschirmt, um es der Öffentlichkeit erst wieder zugänglich zu machen, wenn die Graffiti entfernt worden wären. Einige Künstler*innen hielten daraufhin ‚Schandwachen‘ ab, damit die Graffiti nicht entfernt werden konnten. In weiterer Folge traten rechtsextreme Aktivist*innen auf, um das Denkmal von den in Beton gegossenen Lettern Schande zu befreien. Das Lueger-Denkmal gilt nunmehr als Treffpunkt für rechtsextreme Gruppen, denn es fanden wiederkehrende Kundgebungen von Identitären und anderen rechtsextremen Gruppen statt. Daraufhin überwachte die Wiener Polizei das Denkmal und riegelte es ab. Verschiedene Vereinigungen wie zum Beispiel die Jüdische HochschülerInnenschaft oder die Muslimische Jugend Österreich sowie der KZ-Verband hielten weitere Schandwachen ab. Man wollte damit die Wiener Kommunalpolitik dazu bewegen, die 2009 begonnene Diskussion bezüglich der Umgestaltung des Denkmals endlich fortzusetzen (vgl. Redaktion Wien.ORF 2020).
Am 1. Oktober 2020 berichtete die Wiener Tageszeitung Der Standard über die Kunstintervention, ihre Initiator*innen und Unterstützer*innen. Schon 2010 sei das Denkmal Gegenstand einer Auseinandersetzung gewesen. Da seitens der Stadt Wien damals nichts unternommen worden wäre, sei zehn Jahre später die Debatte erneut aufgenommen worden. Die Ehrung Dr. Karl Luegers solle unmissverständlich beendet werden, denn Wien dürfe keinen Antisemiten ehren (vgl. Rustler 2020). Auch die Jüdische Österreichische HochschülerInnenschaft veröffentlichte eine Presseaussendung zu ihrer am 7. Oktober veranstalteten künstlerischen Installation am Lueger-Denkmal. In Wien dürfe kein Platz für Antisemitismus und Fremdenhass sein, lautete ihr Tenor. Das Lueger-Denkmal beinhalte nicht nur die Verherrlichung eines Antisemiten, es sei zudem ein Sammelplatz für rechtsextreme Gruppen – das dürfe die Stadt Wien nicht mehr zulassen. Die Autor*innen prangerten auch das Vorgehen der Polizei an:

„Die Forderung der jüdischen HochschülerInnen lautet ‚kein Fuß breit dem Antisemitismus‘ und ‚keine Bühne dem Rechtsextremismus‘. Dass das Lueger Denkmal diesen beiden Forderungen widerspricht, zeigte sich unter anderem am Montag bei einer Schandwache am Lueger Denkmal, zu der plötzlich Identitäre auftauchten, um mit Hammer und Meißel provisorisch angebrachte Schriftzüge der Demonstrierenden an der Statue abzumontieren und faschistische Parolen zu rufen, während die anwesenden Polizisten nur zusahen“ (Jüdische österreichische HochschülerInnen 2020).

Das Gewährenlassen von rechtsextremen Gruppen durch die Polizei ist ein fortwährender Kritikpunkt in dieser Debatte.

„Cancel Culture“ versus Umgestaltung des Denkmals

In einem im Mai 2021 gehaltenen Interview mit dem Standard äußerte sich Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) gegen eine vollständige Entfernung des umstrittenen Lueger-Denkmals, die de facto niemand gefordert hatte:

„Zunächst finde ich jede Debatte interessant, auch die aktuelle Beschmierung, weil sie etwas zeigt. Sie macht einen Bruch mit einem Denkmal, das zu hinterfragen ist, deutlich. Offenbar reicht eine Zusatztafel nicht mehr aus. Deswegen habe ich eine große Expertenrunde eingeladen, das zu debattieren. Es gibt viele aus der konservativen Ecke, die es so belassen wollen, wie es ist. Und es gibt welche, die eine komplette Cancel Culture, also Entfernung, fordern. Ich persönlich finde die Konsequenz einer Cancel Culture immer problematisch. Denn unsere Geschichte ist auch schmutzig. Ich möchte nicht in einer Stadt leben, in der alles, was uns an die dunklen Seiten erinnert, ausgelöscht wurde. Dann sind wir in einer cleanen, antiseptischen Stadt, geschichtslos. Gleichzeitig will ich aber endlich alle historisch problematischen Straßennamen in der Stadt mit Zusatztafeln kontextualisieren. Denn darin sehe ich einen Bildungsauftrag“ (Weiss 2021).

Allerdings ignoriert hier die Kulturstadträtin die Bemühungen um Umgestaltung und Anpassung, indem sie die Vorschläge aus dem Umfeld der Kunstuniversität schlicht nicht erwähnt und eine falsche Alternative aufmacht, die den Stand der Debatte nicht korrekt wiedergibt.
Die Kulturstadträtin lud in der Folge zu einem Round Table am 22. Mai 2021 im Wiener Rathaus ein, um das Thema Lueger-Denkmal und den weiteren Umgang der Stadt Wien zu diskutieren. Die rund 40 Expert*innen aus Kunst, Wissenschaft, Politik sowie Verwaltung und Zivilgesellschaft wurden von der Puls-4-Infochefin Corinna Milborn durch die Diskussion geleitet (vgl. PID Presse- und Informationsdienst der Stadt Wien 2021). Auch hier wurde von der ÖVP versucht, die Bemühungen um eine Rekontextualisierung des Denkmals mit der Bezeichnung „Cancel-Culture“ zu diskreditieren.
So veröffentlichte die ÖVP nach dem Treffen eine Erklärung, in dem sie sich ausdrücklich gegen den Abriss des Denkmals stellte. Lueger sei ein verdienter Bürgermeister von Wien, welcher viel für die Modernisierung der Stadt geleistet habe – dafür solle das Denkmal stehen. Den von Lueger salonfähig gemachten Antisemitismus könne man nicht abstreiten und wolle dies auch nicht – darin seien sich alle Mitglieder einig. Eine „Cancel Culture“ sei hier aber nicht angebracht, lautet die Interpretation der Expert*innenrunde in der Presseaussendung der ÖVP(vgl. Die neue Volkspartei Wien 2021).
Auch die Kulturabteilung der Stadt Wien, vertreten durch Ursula Schwarz und Nina Linke, bezog Stellung zur Debatte. Die Stadt Wien habe unter anderem ca. 2.000 Denkmäler und Gedenktafeln sowie Ehrengräber und Grabdenkmäler unter ihrer Obhut. Deren Pflege koste der Stadt Wien jährlich bis zu zwei Millionen Euro. Die Umgestaltung eines Denkmals sei somit kein leichtes Unterfangen und mache die Einbeziehung vieler Stellen und Stakeholder erforderlich. In ihrer Presseaussendung zitieren sie den Landeskonservator im Bundeskanzleramt Friedrich Dahm: „Jede Veränderung an einem Denkmal, sei es in der Substanz oder am Erscheinungsbild, [erfordere] eine Genehmigung per Bescheid […]. Wenn konkrete Vorschläge vorliegen, werden diese zeitnah auf Genehmigungsfähigkeit geprüft“(vgl. PID Presse- und Informationsdienst der Stadt Wien 2021).
Demgegenüber veröffentlichte die NGO aufstehn – Verein zur Förderung zivilgesellschaftlicher Partizipation am 5. Mai 2021 eine Presseaussendung mit der klaren Empfehlung, sowohl das Denkmal Karl Luegers als auch den dazugehörigen Platz umzugestalten. Eine siebenköpfige Expert*innenkommission aus Architektur, Kunst, Kultur und Zeitgeschichte habe über die Zukunft des Platzes beraten und sei mit einem Bericht über ihre Ergebnisse und Empfehlungen für die Verantwortlichen an die Öffentlichkeit getreten. Die konkreten Empfehlungen beinhalten folgende Kernpunkte: „Der Dr.-Karl-Platz muss umgestaltet und umbenannt werden. Die Statue Luegers muss ihren ehrenden Charakter verlieren und vom Sockel des Denkmals entfernt werden. Stattdessen soll ein ein (sic!) Raum geschaffen werden, an dem man sich kritisch mit der Vergangenheit sowie Antisemitismus und Rassismus im Heute auseinandersetzen kann“ (aufstehn.at 2021).
Mit einer künstlerischen Intervention reagierten wiederum die Grünen Wien im März 2021: Noch bevor die Expert*innenrunde im Rathaus tagte, setzten sie dem Lueger-Denkmal die Statue eines Mädchens entgegen: Das Mädchen im roten Mantel aus dem Film „Schindlers Liste“ steht Lueger in einer selbstbewussten Pose gegenüber und soll zeigen, dass man niemals vergessen darf. Die Wiener Grünen sind sich einig, dass Antisemitismus in Wien keinen Platz haben darf – auch nicht im Stadtbild. In der Presseaussendung wurde auch auf eine coronakonforme Zoom-Veranstaltung am 23. März 2021 aufmerksam gemacht, welche unter dem Titel „Denkmäler neu Denken!“ zum Umdenken beitragen sollte (vgl. Grüner Klub im Rathaus 2021).
Im November 2021 nahm die Debatte um das Lueger-Denkmal wieder Fahrt auf. Die Kulturstadträtin Kaup-Hasler (SPÖ) präsentierte die Pläne der Stadt Wien mit dem Lueger-Denkmal in einem Kolloquium – organisiert von Licra Österreich (Liga gegen Rassismus und Antisemitismus) –, das Lueger und den adäquaten Umgang mit umstrittenen Denkmälern zum Inhalt hatte. Es solle eine „künstlerische Kontextualisierung“ des Denkmals geben, so die Kulturstadträtin. Die im Frühjahr abgehaltene Expert*innenrunde habe Extrempositionen gezeigt, die nun aufgegeben wurden. Die Vertreter*innen der ‚Cancel Culture‘ hätten eingesehen, dass eine Entfernung keine Lösung für das umstrittene Denkmal sei. Selbst die Vertreter*innen der ‚unberührten Erhaltung‘ des Denkmals seien zu dem Schluss gekommen, dass das Denkmal nicht unkommentiert stehen bleiben könne. Die Kulturstadträtin wolle nun, in Absprache mit Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), „den Weg der künstlerischen Kontextualisierung“ (APA Science 2021) gehen. Die Ausschreibung werde durch den KÖR (Kunst im öffentlichen Raum) erfolgen und in den nächsten Jahren erarbeitet. 2023 solle dann die Prämierung des Siegerprojektes hervorgehen und die Umgestaltung beginnen. Sowohl der Denkmalschutz als auch technische Voraussetzungen müssten noch geprüft werden – verläuft doch die Wiener U-Bahn unter dem Denkmal. „Andererseits braucht es wissenschaftliche Vorarbeit, […]. Dabei geht es nicht nur um die prägnante Herausbildung der Ambivalenz der Person Lueger – kommunalpolitische Verdienste versus Wegbereiter des Antisemitismus –, sondern auch um eine Art kulturphilosophischen Leitfaden für eine zeitgemäße Erinnerungskultur“ (APA Science 2021).
Mit diesem Schritt der Stadt Wien zeigt sich ein Einlenken und Umdenken. Wie schon 2009 wird erneut eine Ausschreibung stattfinden, was die Frage aufwirft, ob die Umgestaltung dann tatsächlich umgesetzt wird. Weiters ist zu bedenken, dass es bereits einen Wettbewerb gab, aus dem das Projekt „Schieflage“ von Klemens Wihlidal als Sieger hervorgegangen ist. Dieses vermag sowohl inhaltlich wie ästhetisch die Problematik des Lueger-Denkmals zu rekontextualisieren. So stellt sich die Frage, ob eine erneute Ausschreibung tatsächlich notwendig ist oder ob es den Prozess der Kontextualisierung abermals verzögert. Die Debatte um das Lueger-Denkmal ist also erneut im Gang. Es ist eine Debatte, die wichtig ist. Solange Karl Lueger nicht ‚zurechtgerückt‘ wird, wird sie anhalten.

Literatur- und Quellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

  • Abbildung 1: Panholzer, Lilly/Jakob Glasner (2009), Lueger Denkmal (frontal). © Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich.
  • Abbildung 2: Panholzer, Lilly/Jakob Glasner (2009), Lueger Denkmal (von links und rechts). © Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich.
  • Abbildung 3: Frankenberger, Lukas (2009), Frontrelief (Schaffung des Wald- und Wiesengürtels). © Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich.
  • Abbildung 4: Frankenberger, Lukas (2009), Relief links (Kommunalisierung der Gaswerke). © Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich.
  • Abbildung 5: Frankenberger, Lukas (2009), Relief rechts (Bau der zweiten Hochquellwasserleitung). © Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich.
  • Abbildung 6: Frankenberger, Lukas (2009), Relief hinten. © Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich.
  • Abbildung 7: Frankenberger, Lukas (2009), Sockelfiguren hinten (links: trauernde Witwe, rechts: befürsorgter Greis). © Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich.
  • Abbildung 8: Frankenberger, Lukas (2009), Sockelfiguren vorn (links: Mann mit Gasrohr, rechts: Landarbeiter). © Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich.