Die Büste von Jan Smuts


Der Konflikt um die Erinnerung an einen Apartheid-PolitikerDie Büste von Jan Smuts.

Melissa Talić

Seit der Tötung des Afroamerikaners George Floyd im Mai 2020 in den USA kam es zu einem Anwachsen der #Black-Lives-Matter-Bewegung auf der ganzen Welt. Nicht nur im Alltag sind die People of Color mit Rassismus konfrontiert, auch in der Rechtsprechung schlägt sich diese Ungleichbehandlung nieder (Garza 2016, S. 23). Weltweit entstanden Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus. Im Rahmen dieser Proteste wurden einige Statuen von historisch umstrittenen Personen gestürzt oder mit antirassistischen Symbolen und Begriffen kommentiert. In diesem Beitrag wird eine unbedeutsam erscheinende Büste eines Apartheid-Politikers in Südafrika beispielhaft analysiert.

Denkmäler als Überbleibsel der Apartheid  

Unter dem Begriff „Apartheid“ wird die staatlich verordnete Trennung ethnisch verschiedener Gruppen verstanden. Die Politik der Apartheid war in Südafrika Staatsdoktrin – insbesondere von 1948 an, als die National Party unter der Führung von Daniel Malan die Mehrheit errang, bis 1994, als Nelson Mandela Präsident wurde. Da die gesetzlich verankerte ethnische Segregation seit Anfang des 20. Jahrhunderts bestanden hatte, blieben bereits bestehende rassistische Gesetze (Mines and Works Act, Natives Land Act, Natives Urban Area Act, Pass Laws usw.) unter Malan, der 1948–1954 die National Party anführte (Potgieter 1972, S. 169), erhalten.

In Malans Regierungszeit waren in vielen südafrikanischen Städten und Dörfern Denkmäler und Statuen für die Akteur*innen der Apartheid gesetzt worden (Ndletyana/Webb 2017, S. 101). Nachdem die Apartheid-Gesetze in den Jahren 1990/91 von Frederik Willem de Klerk abgeschafft worden waren (Sonneborn 2010, S. 9), setzten sich zahlreiche Apartheid-Gegner*innen, besonders aus der indigenen südafrikanischen Bevölkerung, dafür ein, dass diese Statuen beseitigt würden. Heute sind beinahe alle Denkmäler dieser Art von den öffentlichen Plätzen entfernt worden. Sofern sie sich noch in einem guten Zustand befanden, wurden sie in Museen deponiert – zum Beispiel in das Untergeschoss des Voortrekker Monuments (Morton 2011). Zwar sind die meisten Denkmäler für Apartheid-Politiker nicht mehr an ihrem ursprünglichen Ort, aber einige wenige sind noch erhalten geblieben. Zudem existieren zahlreiche Bezeichnungen für Plätze und Straßen, die nach Akteur*innen der Apartheid benannt sind.

Jan Smuts – Wegbereiter der Apartheid-Politik

Jan Christiaan Smuts (1870–1950) und seine politischen Mitstreiter*innen initiierten jene rassistischen Gesetze, die die Grundlage für die Apartheid-Politik nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten. Smuts gehörte der South African Party an, die 1930 mit der National Party zur United National South African Party umbenannt wurde. Smuts war von 1919 bis 1924 und von 1939 bis 1948 Premierminister der Südafrikanischen Union.

Südafrikaner*innen europäischer Herkunft bezeichneten sich selbst als Afrikaner*innen – ebenso Smuts, dessen Vorfahren aus den Niederlanden eingewandert waren. Aufgrund seiner schulischen Leistungen galt er als außerordentlich intelligent. Auch an der Cambridge Universität, an der er ein Studium aufnahm, galt Smuts als einer der besten Jura-Student*innen. Obwohl ihm alle Türen zur akademischen Welt offenstanden, entschied er sich, von Großbritannien nach Südafrika zurückzukehren (Marquard 2021). Dort engagierte er sich für die staatliche Einigung Südafrikas, kämpfte im Burenkrieg sowie im Ersten und Zweiten Weltkrieg auf der Seite der Brit*innen. Er wurde als Kriegsheld gefeiert und wird als solcher heute noch verehrt. Nachdem sein Vorgänger in der South African Party, Louis Botha gestorben war, wurde Smuts neuer Premierminister der Südafrikanischen Union (o. A.).

Smuts war für einige problematische Gesetze verantwortlich, insbesondere für das Gesetz über die ethnische Segregation. In den frühen 1910er-Jahren wurde der Mines and Works Act eingerichtet und verabschiedet. Dieses Gesetz bewirkte, dass schwarze Südafrikaner*innen Arbeit mit niederem Ansehen und geringem Lohn verrichten müssen – etwa in den Minen oder bei der Eisenbahn. Sie wurden als billige Arbeitskräfte eingesetzt oder arbeiteten als Dienstpersonal für weiße Familien. Wenige Jahre darauf (1913) erfolgte die Einführung des Natives Land Acts. Dieses bestimmte die Aufteilung von verfügbarem Grund und Boden außerhalb der Städte. Dieses Gesetz besagte, dass Schwarze außerhalb dieser Zonen kein Land erwerben durften. Umgekehrt durften Weiße kein Land, das den Schwarzen zugesprochen wurde, erwerben. Mit der Einführung des Natives Urban Area Act im Jahr 1923 wurde der schwarzen Bevölkerung der Zutritt zu den Städten fast völlig untersagt. Nur mit einer Genehmigung und einem Ausweis durften sich Schwarze für eine beschränkte Zeit in den Städten aufhalten, wie es die Pass Laws verordneten (Bundy 2021).

Der Blick nach oben – die Büste für Jan Smuts auf dem Kapstadter Universitätscampus

Einige Denkmäler wurden zu Ehren von Jan Smuts unter anderem auf der Adderley Street in der Nähe des Parlaments, in Südafrikas ältesten Garten (Company’s Garden) oder auf der Parliament Square in London aufgestellt. Eine Büste befindet sich auf dem Campus der University of Cape Town in Kapstadt. Gleich am Eingang des Universitätsgeländes liegt auf der rechten Seite die Smuts Hall. Es ist ein Studentenwohnheim für männliche Studierende, das nach Smuts benannt wurde.

Abb. 1: Die Vorderseite der Universität. Rechts außen die Smuts Hall. Adrian Frith, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:UCT_Upper_Campus_landscape_view.jpg

Die Studenten gelangen durch ein Eingangstor in den Innenhof des Gebäudes. Direkt über dem Eingangstor wurde ein rechteckiger Turmaufbau errichtet. Darin thront die Büste von Jan Smuts auf einem Sockel.

Abb. 2: Die Vorderseite der Smuts Hall (Danie van der Merwe, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:UCT_Cape_Town.jpg

Die Büste ist relativ klein ausgefallen. Sie wurde von Verzierungen und Schmuck gerahmt, die die Blicke auf sich ziehen sollen. Wer das Gebäude vom davorliegenden Parkplatz aus betrachtet, kann die zentral gesetzte Skulptur kaum übersehen. Die Fassade ist mit Efeu bewachsen, noch vor dem Eingang erstreckt sich ein Säulenbaum und aus dem Innenhof ragt eine Palme hervor. Diese naturbelassene Umgebung verstärkt die Ästhetik des Turmaufbaus. Die meisten Denkmäler, die Machthaber darstellen, sind ‚oben‘ angesiedelt und sollen die übergeordnete Bedeutung der dargestellten Person symbolisieren, die auf diese Weise über der Bevölkerung zu thronen scheint. Ähnliches repräsentiert die Büste von Jan Smuts. Wer sie betrachten möchte, muss seinen Blick nach oben richten.

Die vom südafrikanischen Bildhauer Ivan Mitford-Barberton gefertigte Büste ist 47 cm hoch und besteht aus Bronze (ibali 2013). Sie ist nicht bemalt. Der Kopf ist nach links gewandt und die Büste umfasst zusätzlich die Schultern. Die Ausrichtung des Kopfes impliziert eine Feldherrenpose, die womöglich auf den vorderen Eingang des Campus gerichtet ist. Unter der Büste ist der Name des Studentenwohnheims „Smuts Hall“ in großen Lettern zu lesen. Es wurden im äußeren Bereich der Smuts Hall keine Zusatztafeln angebracht, die mit Smuts in Verbindung stehen. Der Auftrag dürfte kurz nach 1950 vom Universitätsrat erteilt worden sein (Smutshallofficial 2021). Jahrzehntelang suchte die Universität Kapstadt einen passenden Namen für diesen und weitere Säle der Universität. Als Smuts 1950 starb, erhielt das Heim seinen Namen.

Abb. 3: Büste mit Feldherrenpose
Andrew Massyn: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bust_Jan_Smuts.jpg

Alljährliches Gedenken

Die Büste ist ein Teil der Smuts Hall und somit Teil der Universität. Für die Pflege und Erhaltung sind die Mitarbeiter*innen der Universität zuständig. Universitätsmitarbeiter*innen und Bewohner des Heims organisieren zu Smuts‘ Geburtstag, seinem Todestag und zum Jubiläum der Errichtung der Smuts Hall eine Gedenkfeier, bei der sie sich vor dem Eingang und dem Innenhof versammeln. Es werden Reden gehalten, Blumen am Tor abgelegt, Kleinigkeiten zum Essen verteilt und es wird auf ihn angestoßen.

Zweierlei Erinnerung: Kriegsheld versus Apartheidsakteur

Die eine Erinnerung, insbesondere von weißen südafrikanischen Interessenvertreter*innen, sieht in Jan Smuts einen Kriegshelden, der im Burenkrieg sowie im Ersten und Zweiten Weltkrieg an Großbritanniens Seite kämpfte. Die andere Erinnerung will in Smuts vor allem einen der Verantwortlichen für die Entwicklung hin zur ethnischen Segregation erkennen, infolgedessen die schwarze Bevölkerung in Reservate ziehen musste und Schritt für Schritt ihre Grundrechte verlor. Smuts war zwar nicht für die Apartheid-Gesetze unmittelbar verantwortlich, aber sein Wirken beförderte die Entwicklung hin zur absoluten ethnischen Segregation. Jahrzehntelang durfte kein/e Schwarze/r an der Cape Town University studieren. Daher fordern schwarze Studierende, aber durchaus auch weiße Kommiliton*innen, dass die Büste von Jan Smuts entfernt und die Smuts Hall umbenannt werden soll.

Seit März 2015 kommt es vermehrt zu Protesten an den Universitäten Südafrikas. Ein wichtiger Akteur in diesem Kontext ist die Rhodes-Must-Fall-Bewegung, die zum größten Teil aus Studierenden besteht (Kamanzi 2015). Ihr Ziel ist es, auf die anhaltende Benachteiligung der schwarzen Bevölkerung aufmerksam zu machen, indem sie Denkmäler für einstige südafrikanische Kriegshelden, Politiker und weitere namhafte – in das Apartheidsregime verwickelte – Persönlichkeiten mit kritischen Kommentaren versehen. Obgleich die Apartheid in den 1990er-Jahren abgeschafft wurde, leidet die schwarze Mehrheitsbevölkerung weiterhin unter den Folgen dieser Politik. Die Mehrzahl der damals errichteten Townships wird immer noch von schwarzen Menschen bewohnt – zahlreiche gelten heute als Slums. Eines der Ziele der #RhodesMustFall-Bewegung ist das Kommentieren der Denkmäler für Jan Smuts. Am 15. Februar 2016 besprühten Protestierende die Büste der Smuts Hall mit roter Farbe (news24.com 2016). Mit Plakaten zogen die Studierenden über das Universitätsgelände. Sie forderten, alle Denkmäler der Personen auf offenen Plätzen zu entfernen, die zur Unterdrückung der nichtweißen Bevölkerung in diesem Land beitrugen.

Abb. 4: Protestaktion mit Farbkommentar 2016, https://www.thedailyvox.co.za/smuts-hall-at-the-university-of-cape-town-rebrands-six-years-after-rhodesmustfall/?

Nachdem die Aktivist*innen der #RhodesMustFall-Bewegung weitergezogen waren, beseitigte eine Reinigungskraft der Universität die Farbe und weitere Überbleibsel des Protests (ebd.).

2020, fünf Jahre nach dem Farbkommentar und den Protesten auf dem Campus, wandte sich die Leiterin des Universitätsrates der Kapstadt Universität, Babalwa Ngonyama, direkt an die Studierenden und Mitarbeiter*innen über das Nachrichtenportal der UCT. Dabei verkündete sie, dass der Rat eine Namensänderung der Smuts Hall befürwortete. Der Protest hatte Erfolg. Der Name wurde entfernt und das Heim provisorisch als Upper Campus Residence bezeichnet (Ngonyama 2021). Die Wunden, die die Apartheid hinterlassen hat, sind noch nicht verheilt. Dies äußert sich im Konflikt um eine unscheinbar wirkende Büste von Jan Smuts und um den Namen eines Studentenwohnheims. Da die gesellschaftliche Benachteiligung der schwarzen Mehrheitsbevölkerung andauert, dauern die Konflikte um die historische Ursache (Apartheid) weiterhin an. Die Forderung nach der Entfernung der Büste und der Namensänderung dienen einerseits der historischen Aufarbeitung, andererseits dienen sie gegenwärtig dazu, den Anspruch auf Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand zu reklamieren.

Literatur

Bundy, Colin J. (2021), Segregation of South Africa. Online unter: https://www.britannica.com/place/South-Africa/Segregation (letzter Zugriff: 31.10.2021).

Garza, Alicia (2016), A Herstory of the #BlackLivesMatter Movement. In: Hobson, Janell (Hrsg.), Are all Women Still White? Rethinking Race, Expanding Feminisms. NY: SUNY Press, S. 23-28.

Ibali, Reimagining Tragedy in African and the Global South. Online unter: https://ibali.uct.ac.za/s/RETAGS/item/5280 (letzter Zugriff: 31.10.2021).

Kamanzi, Brian (2015), Rhodes Must Fall. Decolonisation Symbolism. What is happening at UCT, South Africa? Online unter: http://postcolonialist.com/civil-discourse/rhodes-must-fall-decolonisation-symbolism-happening-uct-south-africa/ (letzter Zugriff: 31.10.2021).

Marquard, Leopold (2021), Jan Smuts. South African statesman. Online unter: https://www.britannica.com/biography/Jan-Smuts (letzter Zugriff: 31.10.2021).

Morton, David (2011), In the Vaults of the Voortrekker Monument. Online unter: https://www.google.com/amp/s/hoteluniverso.wordpress.com/2011/11/10/in-the-vaults-of-the-voortrekker-monument/amp/ (letzter Zugriff: 31.10.2021).

Ndletyana, Mcebisi/Webb, Denver A. (2017), Social divisions carved in stone or cenotaphs to a new identity? Policy for memorials, monuments and statues in a democratic South Africa. In: International Journal of Heritage Studies, VOL. 23 (2), S. 97-110. Online unter: https://doi.org/10.1080/13527258.2016.1246464 (letzter Zugriff: 02.11.2021).

News24 (2016), PICS: UCT students deface icons of ´colonial repression´. Online unter: https://www.news24.com/News24/uct-students-deface-icons-of-colonial-repression-20160215 (letzter Zugriff: 31.10.2021).

Ngonyama, Babalwa (2021), Renaming of Smuts Hall. Online unter: https://www.news.uct.ac.za/article/-2021-06-21-renaming-of-smuts-hall (letzter Zugriff: 27.01.2022).

O. A., Jan Christiaan Smuts. Online unter: https://www.kapstadt.org/suedafrika-jan-christiaan-smuts/ (letzter Zugriff: 31.10.2021).

Potgieter, Dirk J. (1972): Standard Encyclopedia of Southern Africa. Vol. 6. Kapstadt: Nasou.

Smutshallofficial (2021), A Brief History Of Smuts. Online unter: https://issuu.com/smutshallofficial/docs/o-week_booklet_2021_final/s/11807745 (letzter Zugriff: 31.10.2021). Sonneborn, Liz (2010): The End of Apartheid in South Africa. NY: Chelsea House.

Bildnachweis

File: UCT Cape Town.jpg. Online unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:UCT_Cape_Town.jpg (letzter Zugriff: 26.06.2021).

Jan Smuts statue ´red faced´ during student protests. Online unter: https://www.enca.com/south-africa/uct-protest-housing-crisis (letzter Zugriff: 09.05.2021).

Reimagining Tragedy in African and the Global South. Online unter: https://ibali.uct.ac.za/s/RETAGS/item/5280 (letzter Zugriff: 09.05.2021). UCT approves renaming of Smuts Hall residence. Online unter: https://m.polity.org.za/article/uct-approves-renaming-of-smuts-hall-residence-2021-06-22 (letzter Zugriff: 26.06.2021).